Well, well, well, look who's here
I haven't seen you in many a year!
If I knew you were comin' I'd've baked a cake
Baked a cake, baked a cake.
Cake, cake, cake, cake
Cake, cake, cake, cake
Cake, cake, cake […]
And it's not even my birthday.
Im März 2022 erschien auf Netflix die erste Staffel der neuen Gameshow „Is it Cake?“. Die Teilnehmer*innen der Sendung backen Torten, die gewöhnliche Gegenstände hyperrealistisch nachbilden, eine prominent besetzte Jury muss erraten: Ist es Kuchen oder nicht? Die Sendung reagiert damit auf einen populären Instagram-Trend der ersten beiden Pandemiejahre. Unter #isitcake finden sich Bilder von Klopapierrollen, Sportschuhen, Surfbrettern und Smartphones: allesamt aus Kuchenteig gebacken. Der Teig tarnt sich unter dichtem Fondant, glänzendem Zuckerguss, geschnitzten Details aus Marzipan: Die Oberflächen der Kuchen betreiben eine Mimese, verschleiern ihre handgemachte Produktion, holen das Finish und die Waren des Industriellen in die neue Häuslichkeit des Lockdowns. Dabei bildet #isitcake nur ein Genre von vielen in der aktuell florierenden Cake-Art-Szene in den Sozialen Medien. Opulente, niedliche, glitzernde, zerfließende, monumentale und winzige Kuchen und Torten lassen sich dort finden; Skulpturen aus Fondant, Zuckerguss, Marzipan, Buttercreme, Streuseln, Puderzucker und Lebensmittelfarbe.
Mit ARTIST CAKES & CRÉMANT CARE von Anik Lazar und Wiebke Schwarzhans ziehen die Kuchen in den Ausstellungsraum; dafür luden Lazar und Schwarzhans Künstler*innen ein, einen Artist Cake zu gestalten. Clara Alisch, Ina Arzensek, Cake & Cash Collective, Elburuz Fidan mit Anna-Lena Völker, Anna Grath, Lulu MacDonald, Tintin Patrone, Aleen Solari, Julischka Stengele und Felix Thiele brachten ihre Back- und Zuckerwaren, großteils selbst gebacken. Angerichtet wurden die Artist Cakes auf einem von Lazar und Schwarzhans gestalteten Büffet; ein Tresen, gebaut aus Türmen von übereinander gestapelten Autoreifen. Die Reifen sind gebraucht, manche sind staubig, hier und da steckt ein Kieselstein, irgendwo klebt ein Rest Farbe. Sie riechen nach Gummi, Erde und Asphalt. Ihr mattes Schwarz wird durch die Muster ihrer Profile rhythmisiert, fast wie eine Spitzenbordüre oder eine bestickte Husse legen sich die Muster über die Stapel. Die Türme schließen mit maßangefertigten Spiegelscheiben ab, die passgenau in den obersten Reifen liegen und als Tablett für je eine Torte dienen.
Die Kuchen sind anonym, sie sind unbegleitet von Werkschildern oder der Angabe von Zusatzstoffen. Auf Nachfrage geben die schwarz gekleideten Bartender*innen Auskunft über die Autor*innenschaft und die ungefähren Zutaten. Ganz unweigerlich liest man die Torten als performative oder skulpturale Formel, als in Kuchenform gebrachtes Oeuvre der Künstler*innen, meint deren Themen, Materialien, Formen, Witze und Zweifel wiederzuerkennen. In der für viele der Künstler*innen neuen Materie aus Zucker und Butter setzen sich vertraute Fragen von Dekoration und Dekonstruktion, Abstraktion und Alltag, Minimalismus und Mimese fort.
Bei aller Skulpturalität sind die Kuchen jedoch nicht nur zum Anschauen da: Stückweise werden sie von den Bartender*innen an die Besuchenden verschenkt. Es ist eine leise, zurückhaltende Transaktion, es werden Wünsche geäußert, die manchmal erfüllt, andere Male sanft umgeleitet werden. Es scheint ein geheimes Regelwerk zu geben, wann welcher Kuchen angeschnitten, wer womit beschenkt wird. Die Bartender*innen nehmen weder Geld noch Bestellungen an, sie sind „tender“ in jedem Wortsinn: zärtlich, liebevoll, empfindlich, versorgend, kümmernd, anbietend. Serviert werden die Kuchenstücke auf himmelblauen Porzellanscherben. Es sind Abgüsse von Schabracken aus dem Reitsport, die Nähte und gefütterten Kammern des Textils sind auch in ihrer keramischen Kopie noch sichtbar – ihre Oberfläche ist jedoch matt und kalt, die Kanten sind spitz und scharf, sie scheinen händisch in Stücke gebrochen worden zu sein. Es werden auch Getränke ausgeschenkt – Crémant und Zitronenwasser –, die Gläser und süßen Teile werden einzeln über den Tresen gereicht, Hände treffen sich, das Geben und Nehmen spiegelt sich in den kreisrunden Scheiben, wie auch die Krümel und Reste der kleiner werdenden Backwaren.
Mit der Geste des Selbstgebackenen rückt das Private in den Ausstellungsraum und man selbst, beim Verzehr der Kuchen, auch nahe an die Künstler*innen heran. Das Tortenensemble erinnert an Kindergeburtstage, sonntägliche Kuchentafeln und Hochzeitsbüffets – und während die Tortengabel leise knackend die Glasur durchbricht, erkennt man sie alle als Anlässe, in denen Familien- und Genderideale re-inszeniniert und manifestiert werden, in denen intime Momente ins Öffentliche übersetzt und zelebriert werden. Kuchen und Torten dienen bei all diesen Festen als Ausdruck der liebevollen Aufmerksamkeit, der vollumfassenden Fürsorge, des mütterlichen Rituals; sie sind die Kür der Care-Arbeit.
Es geht nicht ums Sattwerden bei ARTIST CAKES & CRÉMANT CARE, genauso wenig wie bei #isitacake oder der Torte am Sonntag; es geht nicht um den Nährwert der Kuchen oder existenzielle Sorgearbeit, sondern um eine ästhetisierte Geste der Gastfreundschaft, die „Cherry on Top“ der küchenhandwerklichen Fertigkeit, eine kunstvolle Klausel der weiblich konnotierten Sphäre der Domestizität.
Neben seiner häuslichen Konnotation ist das zur Schau gestellte große Backen im Ausstellungsraum auch eine Spielerei der Dekadenz. „Qu'ils mangent de la brioche!“ (als Antwort auf den Schrei des Volkes nach Brot.) Das fälschlicherweise immer wieder Marie Antoinette zugeschriebene und als „Dann sollen sie Kuchen essen!“ übersetzte Credo scheint hier nicht nur seine performative Entsprechung zu finden, sondern lässt sich als direkte Paraphrase des Kunstbetriebs und seiner Dynamiken selbst lesen, in dem nur zu oft weitaus mehr Crémant denn Fördergeld fließt.