Hanne Loreck
„[…] When suddenly Johnny gets the feeling he’s being surrounded by
horses, horses, horses, horses
coming in in all directions
white shining silver studs with their nose in flames,
He saw horses, horses, horses, horses, horses, horses, horses, horses. […]“
Patti Smith, 1975
Sie werden Schraubergöttin und Schraubergott genannt und arbeiten in einer Halle voller alter Autoteile. Als Freizeitautomechaniker*innen werkeln sie an den eigenen Maschinen und denen der anderen. Für die einen entspricht das in keiner Weise der selbstverständlich staatlich zu prüfenden Fachtätigkeit. Geht es nämlich erst einmal um das Kfz, droht einiges problematisch zu werden: Wer genau darf an meinem Auto, nahezu an mir selbst also, ‚herumdoktern’? Welche Lizenzen hat sie, hat er? Und welche Art von Wirtschaftlichkeit muss dabei bedient werden? Die Göttlichkeit hingegen, die die Szene den Schrauber*innen zuerkennt, spricht eine andere Sprache: geradezu sakrale Anerkennung für die Tüftelei, die einen alten Motor, ein längst schon nicht mehr produziertes Getriebe oder ein anderes komplexes Maschinenteil wieder zum Funktionieren bringt. Andernfalls und in der heutigen Wegwerfgesellschaft würden diese Teile komplett ausgetauscht und im schlimmsten Fall durch ein neues oder zumindest anderes gebrauchtes Auto ersetzt. Auf dem Schrauberplatz wird eine andere Ökonomie praktiziert, und sie wird mit dem Genuss der Findigkeit und der Raffinesse der handwerklichen Problemlösung gepaart – reparieren statt konsumieren. An der derart punk-rockig gewendeten Idee von Nachhaltigkeit und – mindestens so wichtig – von (queerer) Gemeinschaftlichkeit partizipiert Anik Lazar. Mit ihrem Wohnmobil aus den 1970er Jahren, in dem sie permanent lebt, profitiert sie von den Kenntnissen der Kfz-Mechaniker*innen technisch-materiell. Vor allem aber bildet der allegorische, metaphorische und symbolische Aspekt der Auto-Mobilität und generell der Vorstellungen vom Selbst, entsprechend der griechischen Vorsilbe ‚auto-’ für ‚selbst-’ (selbsttätig, selbstbewegend, selbständig etc.), einen Zeichenkosmos, den die Künstlerin in ihren Installationen, Gemälden und Zeichnungen immer wieder modifiziert.
In der Serie HORSES, seit 2016, portraitiert Anik Lazar Motoren. Den Anfang macht der Motor ihres rollenden Lebensraums, zweimal dargestellt, von den je gegenüberliegenden Seiten (OM 616.1, OM 616.2); jüngst kam ein VW-Motor hinzu (2.4 D). Die Maschinen weiß sie sowohl zu malen, als auch, an einem anderen Ort, auf dem Schrauberplatz, auseinanderzunehmen und wieder zusammenzufügen – Kunstfertigkeit hier, beim Malen, wie dort beim Schrauben. Denn das Schrauben zwingt zu einer Präzision, die nicht nur ein analytisches Verständnis voraussetzt, sondern gleichsam tätige Analyse ist. In einer aktuellen Version ergänzt Anik Lazar die zwei Ansichten ihres Motor-Organs durch eine großgezogene Darstellung einer Kosmetik-Cremedose (ANTI AGING, 2016) und installiert die Bilder, das Gefäß in der Mitte, zu einem Triptychon. Allein in seiner Form erinnert dieses Arrangement an einen Altar, dem traditioneller Weise die Funktion zukommt, einen Ort der Kontemplation und der Würdigung zu markieren – was der symbolischen Göttlichkeit der Schrauber zugutekommt. Der pinkfarbene Kosmetiktiegel geht auf eine Werbeanzeige zurück und übertreibt gezielt die dort verwendeten einfallslosen Werbemittel: die Glanzlichter auf dem Gefäß wie auf dem derart geschmeidig-seidig wirkenden Inhalt. Und dann der Schriftzug FETT, mit Airbrush einem Graffito ähnlich aufgesprüht. Fett wie Schmieröl gegen Reibung und Verschleiß, ohne das kein Getriebe funktioniert; Fett wie ein wesentlicher Bestandteil jeder Anti-Aging-Creme; wobei der sexuelle Ton vom Gleitmittel mitschwingt, den das stereotype Pin-up als visuelle Werbebegleiterin von Autoreifen oder Ölkanistern andernorts unverblümt verkörpert. Anik Lazar spielt also mit provozierend einfachen Analogien – zwischen Mechanik und weiblichem Körper, zwischen Pflege, Bodychecks, Reparatur; sie unternimmt eine Gratwanderung zwischen männlich konnotierten Sexismen und einer weiblichen Wiederaneignung von Sexiness. Und das völlig ohne Ironie, denn schließlich geht es um ein feministisch begriffenes Ausloten von Autonomien im heteronormativen Sozialzusammenhang, ohne freilich Lust und Begehren ad acta legen zu wollen. Mir kam die US-amerikanische Malerin Lee Lozano (1930-1999) mit ihren ziemlich frechen, aber auch melancholisch-skeptischen Bildern in den Sinn, in denen sie in 1970er Jahren etwas über Weiblichkeit herausfinden wollte. Sie malte technische Verbindungsmaterialien in Großaufnahme und in Anspielung auf einen als mechanisch missverstandenen Geschlechtsakt: Penis-Schrauben mit zartrosafarbenen Eicheln in der Nähe vaginaler Muttern ...
Eine Referenz für Anik Lazars HORSES gibt das imposante Ölgemälde Whistlejacket, 1762 (292 x 246,4 cm), von George Stubbs ab. Vergleichbar einer Ikone ist ein sich aufbäumendes Rennpferd im Profil auf goldgelbem Grund gemalt. Das Pferd wirkt dadurch feierlich und entrückt, zumal trotz heroischer Pose kein Reiter in Sicht ist, sondern die Darstellung eine Art Selbstgenügsamkeit des edlen Tieres zelebriert. Anstelle physikalisch gemessener Leistung – Whistlejacket entsteht ohnehin etwa zwanzig Jahre vor der Einführung der Pferdestärke – finden wir Eleganz und Sexualität mit Individualismus gepaart. Dass Mensch und Pferd zum historischen Zeitpunkt noch in engster Arbeitsgemeinschaft, ja in einer Art von prä-posthumanem Verbund existierten, sieht man dem abgehobenen Bildnis natürlich nicht an; der Reitsport dürfte die über Jahrhunderte wesentlichen Funktionen des Pferdes für die Landwirtschaft, den Transport und den Krieg kaum gestreift haben. Der berühmte britische Pferde-Anatom und Kunstautodidakt soll auf besondere Weise eine spezielle Tradition der Aristokratie vergangener Jahrhunderte bedient haben, sich über ihre exquisiten Pferde portraitieren zu lassen.
Noch nicht so lange ist es her, dass das nahezu lebensgroße Tier-Bildnis von seinem vormals bescheidenen Platz in der National Gallery in London an einen prominenten Ort umgehängt und populär wurde. Whistlejackets heutiges Umfeld: Gesellschaftsportraits und Landschaften der großen britischen Romantiker Turner, Constable, Gainsborough, Joseph Wright of Derby. Mehrheitlich suchten diese Maler Bildlösungen für die zeitgenössische naturwissenschaftliche Erforschung von Wetter, Luft und Licht; Motive der beginnenden Industrialisierung verbanden sie mit Landschaftsmalerei, Realismus mit Symbolismus. Stubbs Whistlejacket hat freilich wenig mit solcher zeitgenössischen dramatisierten Verbindung aus Forschungs- und Technologiechronik und Landschaftsgenre zu tun. Mehr schon lässt sich das Gemälde als ein Gesellschaftsportrait ohne menschliche Akteure verstehen – eine Motivation, die wir auch bei Anik Lazar unter den heutigen technischen Bedingungen erkennen. Mit der Bezugnahme auf Stubbs spielt Anik Lazar aber zumindest auf jene Bemessung von Kraft an, die der industriellen Ästhetik und den technischen Funktionen bis heute ihre Geschichtlichkeit verleiht. Und eine anachronistische und nostalgische Komponente trägt die Künstlerin durchaus mit hinein in ihre Auto-Arbeiten. Dort versetzen sie das nüchterne Sujet Motor mit Affekten von Schönheit, Stärke, Sex, Identifikation und Idiosynkrasie.
Weitere Arbeiten wie TOUCHING RUNNING SYSTEMS, seit 2016, benutzen das grafische Genre Spreng- oder Explosionszeichnungen. Bei Montageanleitungen wird mit derartigen Grafiken die Montage- und Demontagereihenfolge einzelner Teile erklärt, und selbst komplexe Maschinen erscheinen übersichtlich. Als ein berühmter Ahne solch technisch-analytischer Anordnung von Maschinenteilen gilt Leonardo da Vinci. Auch wenn Anik Lazars Kugelschreiber-Zeichnungen die mechanische Vorstellung restlosen Zusammenspiels von Bauteilen aufgreifen, so genießen sie sichtlich die antagonistischen Kräfte, die im Kontrast zwischen dem chaotischen Auseinanderfliegen der Teile nach einer imaginären Sprengung und ihrer Bändigung in der peniblen Systematisierung liegt. Mindestens ebenso interessant ist der Ansatz bzw. die Voraussetzung, sich eine Maschine vom Schrottplatz zu holen – hier eine Drehstrom-Lichtmaschine von Bosch –, sie manuell zu zerlegen und dann zeichnend auf die potenzielle Implosion oder den funktionstüchtigen Wiederzusammenbau anzuspielen (BOSCH-DREHSTROMLICHTMASCHINE, 2016). Mit den kleinen, aber wesentlichen Abweichungen vom Schema, die das mit Augenmaß Handgemachte und nicht algorithmisch Berechnete mit sich bringt. Wie wir wissen, ist eine wissenschaftliche Visualisierung nie eine sachlich-neutrale Wiedergabe von Gesehenem, immer transformiert die Gestaltung das Wissen, wenn sie es nicht gar erst produziert.
Benutzt man die Karten-App des iPhones als Navigationsgerät, so wird das Fahrzeug in Form zweier konzentrischer Kreise eingetragen (blaues Zentrum, weißer Ring), die entlang der Route vorankommen und dabei mit ihrer kleinen blaugefärbten Aura pulsieren. Ohne Internet betrieben, verschwinden die Kartendaten in einer einfachen gerasterten Bildschirmfläche, markiert von dem Kreis, der noch immer, wiewohl scheinbar orientierungslos, unterwegs ist. Die vormals sich abzeichnende Route lässt sich freilich weiterhin als eine kontinuierliche dickere oder Leit-Linie vorstellen. Diese Beobachtung überträgt die grundsätzlich an Abweichungen – KOLLEKTIVE DEVIATIONEN (2016-2017), so auch der Titel der Serie – interessierte Anik Lazar auf kariertes Recyclingpapier und simuliert die gleichzeitige Präsenz mehrerer solcher ‚Abweichler*innen’ oder ‚Irrfahrer*innen’. Derart entsteht ein kleiner Schwarm von Autonomen. Und plötzlich suggerieren die Zeichnungen Sternenbilder über einem Flussverlauf. Zwar sind die Bewegungen für die digitale Kanalisierung auf den schnellsten oder direktesten Weg verloren, sie vermögen sich der Aufzeichnung durch den Satelliten aber auch nicht gänzlich zu entziehen, weshalb sie blinkend über die datenlose Bildschirmlandschaft wandern. Diese Ambivalenz schlägt im Diagramm in eine Erinnerung an die astronomische Navigation der prädigitalen Zeit um – und spielt die analoge Orientierung für die Gesellen der Lehr- und Wanderjahre der Romantik ein. Noch in Anik Lazars motorisierter Version des Umherstreifens ist dieser romantische Subtext des Nomadischen und seiner Dimension von Unabhängigkeit und gewisser Freiheit zu spüren – weil dem Kontrollzeitalter und seinen Medien eine Kartographie des Umherschweifens abgetrotzt wurde.
Die vier tragenden Aspekte von Anik Lazars aktueller künstlerischer Produktion lassen sich so zusammenfassen: a) die Praxis einer alternativen Ökonomie. Einen Motor, eine Maschine zu verstehen, bedeutet Selbstermächtigung und eine gewisse Unabhängigkeit von den klassischen Arbeitsteilungsverhältnissen und der auf immer neue Produkte setzenden Konsumgesellschaft, b) die Feier der Schönheit und Erotik der Maschine und ihres organlosen Körpers, c) Autonomie ist nicht synonym mit dem völligen Auf-sich-gestellt-Sein, vielmehr weiß die Autonome sehr genau um ihre Beziehungen zum Außen (Anderen), wählt und gestaltet sie jedoch relativ frei, d) das experimentell-poetische Nomadisieren.
Anik Lazar malt und zeichnet daher einen Beitrag dazu, wie wir Zukunft denken können. Das passiert selbstverständlich nicht im Sinn einer klassischen philosophischen Argumentation, wohl aber lassen sich die visuellen Elemente zu einer gesellschaftlichen Utopie zusammenfügen. Diese ist dann weniger fantastisch-fiktiv imaginiert, wie dies der spekulative Realismus vorschlägt, sondern pragmatisch-poetisch und in ihrem Feminismus absichtlich plakativ. Nur so, gleichsam zwischen den Stereotypen, entstehen modellhaft und ästhetisch Alternativen zwischen Individuum und kollektiven Formationen.
Prof. Dr. Hanne Loreck ist Professorin für Kunst- und Kulturwissenschaften/ Gender Studies und Mitglied des Studienschwerpunkts Theorie und Geschichte. Sie arbeitet zudem als freie Autorin und Kunstkritikerin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Subjekttheorie, Fragen ästhetisch-politischen Handelns sowie Theorien des Bildes und der Wahrnehmung. Sie war als Dozentin und Gastprofessorin an zahlreichen Universitäten und Kunsthochschulen tätig, bevor sie 2004 an die HFBK Hamburg berufen wurde.
Monika Cordes-Stein
Gerade heraus ist ihre Kunst. Roh. Rußverschmutzt. Als wäre ein Schrottplatz mit Türmen aus Autowracks ihr Ideenmeer, das reich und tief ein Paradies erzeugt. Es wächst ein Baum aus metallenem Rohrgestänge. Seine Lebensadern Kabel mit Kabelbindern gebändigt. Im Berg in tiefen Höhlen glitzern Schätze, Plastikscherben von Auto-Rücklichtern, wohlgemerkt. Es geht durch tiefes Gestein, manches Mal geduckt durch Spalten. Dann ein Palast, ein Kuppelsaal mit Sternenhimmel, Radkappen unzählig dicht an dicht. Der Boden schwankt, Spiegelscherben eingefasst im bucklig schiefen Betongrund spiegeln das räderkappenrunde Sternen-Gewölbe, mittig darin ein Autorücklichter-Diadem wie mit eingelassenem Granat. Die Spitze der Kuppel krönt der Dreistern von Mercedes-Benz. Auf den Kopf gestellt wiederholt er das dahinterliegende Schamdreieck der weiblichen Figur in der Bleiverglasung des Jugendstilfensters: Die Schönheit als Botschaft von Carl Otto Czeschka im Hamburger HFBK-Foyer: Die Schönheit als Palastwächterin.
Der umgedrehte Mercedesstern zitiert die Dachspitzen der der „Roma-Paläste“1 in Südrumänien – die wie Architektur-Collagen aus Symbolen der reichen westlichen Warenwelt hier ihre funkelnden Schatten werfen. Den Roma, dem fahrenden Volk eine Hommage. Die Autos, das Räderwerk, Bausteine einer Inszenierung von Umraum. Und drinnen in Lazars Schrottpalast ein Tosen, Tanzen, Noise-Performances, Tänzerinnen, DJs legen auf; sich überlagernde Tonwellen, gewaltig laute Schlagzeuge in wildem Gestänge aus Baugerüsten, verkohltes Holz, eine Ruinenstätte wie ein Höllenraum, wummernde Rhythmen. Und mitten darin im Rauch die Künstlerin, sei sie Kriegsgöttin, Göttin der Zerstörung, des Neubeginns, des rauschhaften Festes, des Chaos, die Schafferin an einer Welt aus Energie, aus Überwältigung, aus Kraftfeldern, aus rohen Gewalten wie ein ewiger Anbeginn, Rausch. Ein Fest.
Um zu erfassen, was hier los ist, heißt es einsteigen, sich mitnehmen lassen, sonst wäre es Krach und von allem zuviel. Und dann ist da plötzlich die feine Regie zu spüren. Der ganze Aufbau aus schwerem, rauen, dreckigen Zeugs hängt an feinen Fäden. Streng geführt. Das Wundersame daran ist die vertrauensvolle Hingabe an diesen tosenden Prozess. Ozeanische Gefühle, eine Huldigung an das Leben und seine Fülle. Das unbedingte Erfahren-wollen, Energie, Lautstärke, Rhythmus, ein Tanz um eine Mitte - Poledance, Eros, Fetische der Warenwelt, der Abfall, vor allem aus der auto-mobilen Gesellschaft. Überwältigung als Charakterisierung eines Verhältnisses zur Umwelt. Als schütze die Überwältigung vor rationaler Berechnung, und doch ist auch immer Konzentration spürbar, ja Meditation über ein Kraftzentrum. Anik Lazar arbeitet autonom im Sinne von sich selbst verpflichtet, die Maßstäbe ihrer Innenwelt als eine Referenz für ihre Arbeiten. Sie schafft an ihrer Welt, schlägt kraftvolle Stollen und Räume hinein, erforscht die Wege zur nächsten - wie sie es nennt - Aktivsituation.
Bilden ihr Schrottpalast (D.I.Y. NORM – EINE AKTIVSITUATION), die Höhle (SUPERNOVARESTE)und die Brandruine (D.I.Y. NORM BLACK SERIES) große begehbare atmosphärische Räume, so verweisen die neueren Arbeiten - fast als Abstraktionen - wie Wegweiser in die Innenwelt. Dabei muten sie fast nüchtern an, lassen an Hinweisschilder, Gebrauchsgrafiken denken. Dies ist ein Eintauchen ganz anderer Art. Da werden exakte Untersuchungen angestellt: Die Elemente einer Lichtmaschine, ihre Funktion ist die Energieversorgung eines Fahrzeugs, werden in TOUCHING RUNNING SYSTEMS: BOSCH-DREHSTROMLICHTMASCHINE in einer sogenannten Explosionszeichnung genauestens auseinander genommen und einzeln in ihrer Position zueinander zeichnerisch dargestellt. Erneut stellt sich die Frage nach der Kraftquelle, dem Kraftzentrum. Eine Art Forschungsreihe wird abgebildet. Diese Auseinander-Setzung folgt der aufgestellten Maxime DIY: Untersuche. Finde deinen Weg. Nimm es auseinander. Dazu wird jede nur mögliche Deviation/Abweichung ernst genommen, und in einer Grafik dargestellt. In dieser Werkreihe ergibt sich eine Position aus der anderen. Ein konsequentes Chaos, schlafwandlerische Sicherheit, einleuchtend kartografiert. So geht es weiter.
Einmal den Rahmen für die nächste Aktion/Arbeit gesteckt, liefert sich Anik Lazar ihrem Arbeitsprozess kompromisslos aus. Das Werk nimmt seinen Lauf, und sie treibt es weiter ohne Angst vor Irrwegen wie im romantischen Wanderlied „Irrlicht“ aus der Winterreise von Wilhelm Müller: „Bin gewohnt das Irregehn/ s`führt ja jeder Weg zum Ziel/ unsere Freuden unsere Leiden, alles eines Irrlichts Spiel.“
Die Abweichungen werden zur Bildidee in ihrer Serie KOLLEKTIVE DEVIATIONEN. Sie sind vielleicht in diesem Sinne als Gebrauchsanleitungen zum vertrauensvollen Irregehen zu betrachten.
Es ist das Wandern zwischen den Welten. Trash und Traum. Träumerin inmitten einer brandenden Realität. Unterwegs. Ein hohes Lied auf das Umherziehen. Pferdestärken, Räder, Energie Motorenkraft; In der Serie HORSES wird die Anatomie des Motors maßstabgetreu auf Leinwand gebannt. Fast wie ein Organ, ein Herz, ein Kraftzentrum, ein inniger Gefährte, wenn man so will. Und die Reise nimmt Fahrt auf. Sowohl Anik Lazars kraftvolle Inszenierungen, die Wahl ihrer Materialien für die raumgreifenden Installationen, als auch die neueren Arbeiten – ihre präzise unpräzisen Deviationen, Abbildungen der Motor-Anatomie und die porträthaften technischen Zeichnungen kommen der Selbsterklärung von Novalis sehr nah: „Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn , dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“ Als ob zu alledem nur noch etwas nötig wäre aus dieser wunderlichen Dose FETT.
Monika Cordes-Stein studierte Kunsttherapie an der Hochschule für Künste im Sozialen, Ottersberg. Sie lebt und arbeitet als freie Autorin und Kuratorin in Kiel.